Sonntag, 24. Oktober 2021

[Rez(ept)ension] "Sanctuary - Flucht in die Freiheit" von Paola Mendoza und Abby Sher

„Sanctuary – Flucht in die Freiheit“ ist ein Einzelband, geschrieben von den Autorinnen Paola Mendoza und Abby Sher, welcher am 29.07.2021 im Carlsen Verlag als Klappbroschur zum Preis von 15,00€ erschienen ist. Das Buch umfasst 352 Seiten und wurde von Stefanie Frida Lemke übersetzt.

Dystopisch fern und doch realistisch nah!
USA, 2032: Alle Bürger*innen werden durch einen ID-Chip überwacht. Es ist beinahe unmöglich, undokumentiert zu leben, doch genau das tut die 16-jährige Vali. Nachdem sie aus Kolumbien geflohen ist, hat sich ihre Familie ein Leben in Vermont aufgebaut. Als jedoch der ID-Chip ihrer Mutter nicht mehr funktioniert und ihre Stadt nach Undokumentierten durchsucht wird, müssen sie fliehen. Das Ziel: Kalifornien, der einzige Bundesstaat, der sich der Kontrolle entzogen hat. Doch als Valis Mutter festgenommen wird, muss Vali allein mit ihrem Bruder weiter, quer durchs gesamte Land, bevor es zu spät ist.


„Nach fünfzehn Schritten war sie tot.“ (Seite 7)

 

Seitdem das Cover sowie der Inhalt des Buches bei der Programmvorstellung des Carlsen Verlags gezeigt wurde, wollte ich es unbedingt lesen. Dystopien gehören zu meinem Lieblingsgenre und doch ist das Thema dieser Dystopie hochaktuell und leider gar nicht so dystopisch, wie man meinen könnte. Mit dem Ex-Präsidenten der USA wäre diese Dystopie fast Wirklichkeit geworden und ich bin immer noch dankbar, dass dieses Buch nun (hoffentlich) eine Dystopie bleibt. Meine Erwartungen sind demnach sehr hoch und ich brauche, nein, ich erwarte ein Happy End. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll, denn bislang gibt es keinen zweiten Band im Original.


Das Cover ist eine Zeichnung, welche im Vordergrund ein dunkelhäutiges Mädchen, mit langen schwarzen gewellten Haaren zeigt. Das Mädchen trägt ein blaues T-Shirt und einen Rucksack. Sie scheint den Leser direkt anzuschauen. Dabei ist ihr Kinn leicht angehoben und die Arme sind vor der Brust verschränkt. Bei dem Mädchen scheint es sich um die Protagonistin Vali zu handeln. Im Hintergrund des Covers kann ich einen roten Zaun erkennen, welcher wohl die Mauer darstellen soll und einen blauen Himmel mit weißen Wolken. Im oberen Drittel des Covers befindet sich der Titel sowie die Namen der Autorinnen.


Diese Klappbroschur besticht durch das malerische Cover, die Art des rauen Papiers des Covers und die Einfachheit der Kapitelüberschriften. Die Geschichte wird aus der Perspektive der Protagonistin Vali erzählt. Der Schreibstil ist dabei einfach, flüssig, eindringlich und authentisch. Ich hätte das Buch sehr schnell durchlesen können, denn das Buch fesselt einen an seine Seiten, doch an manchen Stellen musste ich das Buch schließen, das Gelesene sacken lassen und erst einmal Abstand zur Geschichte gewinnen. So bewegend, so tiefgründig und so realistisch war sie zum Teil.

Das Setting der Geschichte war von Anfang an sehr düster, hoffnungslos und drückend. Die Familie unserer Protagonistin Vali kam vor ca. 10 Jahren aus Kolumbien in die USA, in der dann ihr kleiner Bruder Ernie geboren wurde. Da dieser in den USA geboren wurde hat er einen richtigen ID-Chip bekommen. Anders als Vali und ihre Mutter, die mit einem illegalen Chip leben, welche nicht immer richtig funktionieren. Vali hat kein leichtes Leben, doch es verschlechtert sich dramatisch, als dem Präsidenten die vielen „Illegalen“ mehr und mehr ein Dorn im Auge werden. Er ruft den nationalen Notstand aus und eine Deportationseinheit beginnt sich in ihrer Heimatstadt auszubreiten. Sie spüren die „Illegalen“ auf und nehmen sie mit – doch niemand weiß, wohin eigentlich. Valis Mutter plant somit ihre Flucht und ihre Leben verändern sich für immer. Auf dieser Flucht wird Valis Mutter gefangen genommen und plötzlich trägt sie die komplette Verantwortung für sich und ihren Bruder Ernie. Während der Präsident die „Great American Wall“, eine Hochsicherheitsmauer, ausweitet und auch zwischen Kalifornien und dem Rest der USA baut, fliehen sie verzweifelt, um ein besseres Leben führen zu können. Die ganze Atmosphäre war unglaublich bedrückend, verstörend und realitätsnah. Gänsehautmomente garantiert!

Vali ist mit ihren gerade einmal 16 Jahren schon sehr erwachsen. Sie ist immer übervorsichtig gewesen, denn nur ein falsches Wort könnte sie als „Illegale“ verraten. Als sie fliehen müssen und ihre Mutter gefangen genommen wird, muss sie für Ernie sorgen. Damit ist sie erstmal vollkommen überfordert und ich habe sehr mit ihr mitgelitten. Im Grunde ist sie ja auch nur ein junges Mädchen, welches ihre Mutter noch braucht. Sie schlägt sich tapfer, übernimmt viel Verantwortung, plant und kalkuliert und versucht immer für ihren Bruder da zu sein. Dabei handelt sie nicht immer ganz ihrem Alter entsprechend, aber immerhin befindet sie sich in einer absoluten Ausnahmesituation und steht unter enormem Druck.

Auf der Flucht in ihr neues Leben begegnen Vali und ihr kleinem Bruder eine Menge anderer Menschen, die ebenfalls auf der Flucht sind. Deren Schicksale waren z.T. genauso schlimm, wenn nicht noch schlimmer und nicht selten saß ich fassungslos vor meinem Buch. Wie kann es sein, dass der Ort der Geburt über Leben und Tod entscheidet? Das die einen, während so viel Leid passiert, immer noch ihr normales Leben weiterleben können, während die anderen nicht einmal etwas zu Trinken haben? Vali versucht immer das beste aus der Situation zu machen, ihren kleinen Bruder zu beschützen und stark für ihn zu sein. Ernie ist dabei nicht immer einfach und selten dankbar. Natürlich, ist er doch ein Kind auf der Flucht ohne seine Mutter. Und dennoch empfand ich ihn oft als undankbar. Valis Umgang mit ihrem Bruder war nicht immer perfekt, doch man merkt, dass die Geschwister sich lieben, auch als die Flucht immer länger, beschwerlicher und bedrohlicher wird.

Es entwickelt sich gegen Ende sogar eine hauchzarte Liebesgeschichte, die dafür umso eindringlicher war. Die beiden Teenager kämpfen ums Überleben und so stehen die Gefühle erst mal hinten an. Doch auch, als die Flucht endet sind sie nicht „frei“, um sich in ihre Gefühle fallen zu lassen. Das empfand ich als sehr erschütternd. Das Buch ist auch geprägt von vielen Verlusten, die Schlag auf Schlag geschehen. Das halb offene Ende war anders als gedacht bzw. anders, als ich es mir gewünscht haben. Es ist nicht wirklich abgeschlossen und vieles bleibt offen. Das lässt mich natürlich etwas unzufrieden zurück, andererseits weiß ich, dass das von den Autorinnen wahrscheinlich so beabsichtigt wird, denn die Flucht ist nie vorbei. Ich glaube auch nicht, dass hier noch ein zweiter Band folgend wird. Die deutlich spürbaren Parallelen zur heutigen Gegenwart lassen die Grenzen zur Dystopie öfter verschwimmen. Was ist noch erfunden und was davon bereits Wirklichkeit? Die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist fließend. Ich weiß ganz sicher, dass ich dieses Buch nicht so schnell vergessen werde, was (leider) auch daran liegt, dass es viel zu nah an oder bereits in der Realität spielt.


Dieses Buch ist kein einfaches Buch. Die Geschichte rund um die Flucht von Vali und ihrem Bruder Ernie spielt mit den fließenden Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Eindringlich und authentisch fesselt die Geschichte an ihre Seiten, welche ich öfter aus der Hand legen musste, um tief durchzuatmen. Das Buch ist geprägt von der Liebe zwischen den Geschwistern, den Anstrengungen der Flucht, dem Verlust von Freunden, einer hauchzarten Liebesgeschichte und einem offenen Ende, welcher mir ein wenig zu offen war, von den Autorinnen wahrscheinlich aber so benachrichtigt ist. Denn die Flucht ist nie vorbei. Ich vergebe 4,5 Cookies, da ich nur minimale Kritikpunkte äußern kann. Dieses Buch ist wichtig und dennoch keine einfache Lektüre. Ich empfehle diese Geschichte jedoch uneingeschränkt in der Hoffnung, dass sie für immer eine fiktive Geschichte bleiben wird.


Ich möchte mich recht herzlich beim Carlsen Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Absenden deines Kommentars bestätigst du, dass du meine Datenschutzbestimmungen und die
Datenschutzerklärung von Google gelesen und akzeptierst hast.

Du möchtest mir etwas sagen oder hast Hunger bekommen? Fühle dich frei alles zu sagen, was dir auf dem Herzen liegt :). Ich freu mich über JEDEN Kommentar ♥!

Gesamtzahl der Seitenaufrufe