„Sanctuary – Flucht in die Freiheit“ ist ein Einzelband, geschrieben von
den Autorinnen Paola Mendoza und Abby Sher, welcher am 29.07.2021 im
Carlsen Verlag als Klappbroschur zum Preis von 15,00€ erschienen ist.
Das Buch umfasst 352 Seiten und wurde von Stefanie Frida Lemke
übersetzt.
Dystopisch fern und doch realistisch nah!
USA, 2032: Alle
Bürger*innen werden durch einen ID-Chip überwacht. Es ist beinahe
unmöglich, undokumentiert zu leben, doch genau das tut die 16-jährige
Vali. Nachdem sie aus Kolumbien geflohen ist, hat sich ihre Familie ein
Leben in Vermont aufgebaut. Als jedoch der ID-Chip ihrer Mutter nicht
mehr funktioniert und ihre Stadt nach Undokumentierten durchsucht wird,
müssen sie fliehen. Das Ziel: Kalifornien, der einzige Bundesstaat, der
sich der Kontrolle entzogen hat. Doch als Valis Mutter festgenommen
wird, muss Vali allein mit ihrem Bruder weiter, quer durchs gesamte
Land, bevor es zu spät ist.
„Nach fünfzehn Schritten war sie tot.“ (Seite 7)
Das Cover ist eine Zeichnung, welche im Vordergrund ein dunkelhäutiges Mädchen, mit langen schwarzen gewellten Haaren zeigt. Das Mädchen trägt ein blaues T-Shirt und einen Rucksack. Sie scheint den Leser direkt anzuschauen. Dabei ist ihr Kinn leicht angehoben und die Arme sind vor der Brust verschränkt. Bei dem Mädchen scheint es sich um die Protagonistin Vali zu handeln. Im Hintergrund des Covers kann ich einen roten Zaun erkennen, welcher wohl die Mauer darstellen soll und einen blauen Himmel mit weißen Wolken. Im oberen Drittel des Covers befindet sich der Titel sowie die Namen der Autorinnen.
Diese Klappbroschur besticht durch das malerische Cover, die Art des
rauen Papiers des Covers und die Einfachheit der Kapitelüberschriften.
Die Geschichte wird aus der Perspektive der Protagonistin Vali erzählt.
Der Schreibstil ist dabei einfach, flüssig, eindringlich und
authentisch. Ich hätte das Buch sehr schnell durchlesen können, denn das
Buch fesselt einen an seine Seiten, doch an manchen Stellen musste ich
das Buch schließen, das Gelesene sacken lassen und erst einmal Abstand
zur Geschichte gewinnen. So bewegend, so tiefgründig und so realistisch
war sie zum Teil.
Das Setting der Geschichte war von
Anfang an sehr düster, hoffnungslos und drückend. Die Familie unserer
Protagonistin Vali kam vor ca. 10 Jahren aus Kolumbien in die USA, in
der dann ihr kleiner Bruder Ernie geboren wurde. Da dieser in den USA
geboren wurde hat er einen richtigen ID-Chip bekommen. Anders als Vali
und ihre Mutter, die mit einem illegalen Chip leben, welche nicht immer
richtig funktionieren. Vali hat kein leichtes Leben, doch es
verschlechtert sich dramatisch, als dem Präsidenten die vielen
„Illegalen“ mehr und mehr ein Dorn im Auge werden. Er ruft den
nationalen Notstand aus und eine Deportationseinheit beginnt sich in
ihrer Heimatstadt auszubreiten. Sie spüren die „Illegalen“ auf und
nehmen sie mit – doch niemand weiß, wohin eigentlich. Valis Mutter plant
somit ihre Flucht und ihre Leben verändern sich für immer. Auf dieser
Flucht wird Valis Mutter gefangen genommen und plötzlich trägt sie die
komplette Verantwortung für sich und ihren Bruder Ernie. Während der
Präsident die „Great American Wall“, eine Hochsicherheitsmauer,
ausweitet und auch zwischen Kalifornien und dem Rest der USA baut,
fliehen sie verzweifelt, um ein besseres Leben führen zu können. Die
ganze Atmosphäre war unglaublich bedrückend, verstörend und
realitätsnah. Gänsehautmomente garantiert!
Vali ist
mit ihren gerade einmal 16 Jahren schon sehr erwachsen. Sie ist immer
übervorsichtig gewesen, denn nur ein falsches Wort könnte sie als
„Illegale“ verraten. Als sie fliehen müssen und ihre Mutter gefangen
genommen wird, muss sie für Ernie sorgen. Damit ist sie erstmal
vollkommen überfordert und ich habe sehr mit ihr mitgelitten. Im Grunde
ist sie ja auch nur ein junges Mädchen, welches ihre Mutter noch
braucht. Sie schlägt sich tapfer, übernimmt viel Verantwortung, plant
und kalkuliert und versucht immer für ihren Bruder da zu sein. Dabei
handelt sie nicht immer ganz ihrem Alter entsprechend, aber immerhin
befindet sie sich in einer absoluten Ausnahmesituation und steht unter
enormem Druck.
Auf der Flucht in ihr neues Leben
begegnen Vali und ihr kleinem Bruder eine Menge anderer Menschen, die
ebenfalls auf der Flucht sind. Deren Schicksale waren z.T. genauso
schlimm, wenn nicht noch schlimmer und nicht selten saß ich fassungslos
vor meinem Buch. Wie kann es sein, dass der Ort der Geburt über Leben
und Tod entscheidet? Das die einen, während so viel Leid passiert, immer
noch ihr normales Leben weiterleben können, während die anderen nicht
einmal etwas zu Trinken haben? Vali versucht immer das beste aus der
Situation zu machen, ihren kleinen Bruder zu beschützen und stark für
ihn zu sein. Ernie ist dabei nicht immer einfach und selten dankbar.
Natürlich, ist er doch ein Kind auf der Flucht ohne seine Mutter. Und
dennoch empfand ich ihn oft als undankbar. Valis Umgang mit ihrem Bruder
war nicht immer perfekt, doch man merkt, dass die Geschwister sich
lieben, auch als die Flucht immer länger, beschwerlicher und
bedrohlicher wird.
Es entwickelt sich gegen Ende sogar
eine hauchzarte Liebesgeschichte, die dafür umso eindringlicher war.
Die beiden Teenager kämpfen ums Überleben und so stehen die Gefühle erst
mal hinten an. Doch auch, als die Flucht endet sind sie nicht „frei“,
um sich in ihre Gefühle fallen zu lassen. Das empfand ich als sehr
erschütternd. Das Buch ist auch geprägt von vielen Verlusten, die Schlag
auf Schlag geschehen. Das halb offene Ende war anders als gedacht bzw.
anders, als ich es mir gewünscht haben. Es ist nicht wirklich
abgeschlossen und vieles bleibt offen. Das lässt mich natürlich etwas
unzufrieden zurück, andererseits weiß ich, dass das von den Autorinnen
wahrscheinlich so beabsichtigt wird, denn die Flucht ist nie vorbei. Ich
glaube auch nicht, dass hier noch ein zweiter Band folgend wird. Die
deutlich spürbaren Parallelen zur heutigen Gegenwart lassen die Grenzen
zur Dystopie öfter verschwimmen. Was ist noch erfunden und was davon
bereits Wirklichkeit? Die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist
fließend. Ich weiß ganz sicher, dass ich dieses Buch nicht so schnell
vergessen werde, was (leider) auch daran liegt, dass es viel zu nah an
oder bereits in der Realität spielt.
Dieses Buch ist kein einfaches Buch. Die Geschichte rund um die Flucht von Vali und ihrem Bruder Ernie spielt mit den fließenden Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Eindringlich und authentisch fesselt die Geschichte an ihre Seiten, welche ich öfter aus der Hand legen musste, um tief durchzuatmen. Das Buch ist geprägt von der Liebe zwischen den Geschwistern, den Anstrengungen der Flucht, dem Verlust von Freunden, einer hauchzarten Liebesgeschichte und einem offenen Ende, welcher mir ein wenig zu offen war, von den Autorinnen wahrscheinlich aber so benachrichtigt ist. Denn die Flucht ist nie vorbei. Ich vergebe 4,5 Cookies, da ich nur minimale Kritikpunkte äußern kann. Dieses Buch ist wichtig und dennoch keine einfache Lektüre. Ich empfehle diese Geschichte jedoch uneingeschränkt in der Hoffnung, dass sie für immer eine fiktive Geschichte bleiben wird.
Ich möchte mich recht herzlich beim Carlsen Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanken.